Was war vor 50 Jahren die Motivation zur Gründung der Stiftung?
Thomas Schmidheiny: Bei der Gründung war ich ja nicht dabei. So wie ich es verstanden habe, entstand die Stiftungsidee im Nachgang zur 68er-Bewegung. Damals begehrten in der Schweiz, aber auch im Ausland, viele Jugendliche auf und schrien nach Veränderungen. Darunter waren auch radikale Forderungen, die aus ökonomischer Sicht gar nicht verkraftbar waren. So kam zum Vorschein, dass das Verständnis über wirtschaftliche Zusammenhänge mangelhaft war.
Warum wurde gerade «Holderbank» in dieser Sache aktiv?
Thomas Schmidheiny: Oft spielen Zufälle eine Rolle. Mehrere Manager des Unternehmens waren damals auch politisch tätig. Spiritus Rector der Initiative war Anton E. Schrafl, Mitglied der Konzernleitung und gleichzeitig Zürcher Kantonsrat. 1972 gab dann das 50-jährige Jubiläum der Cementfabrik «Holderbank» und der 70igste Geburtstag von Ernst Schmidheiny den Ausschlag zur Gründung der nach ihm benannten Stiftung. Der Stiftungsrat hatten das Glück, in Professor Rolf Dubs, Leiter des Instituts für Wirtschaftspädagogik an der Universität St. Gallen, einen wirtschaftspädagogischen Experten zu finden, der die Idee in die Tat umsetzen konnte, und es entstanden die Wirtschaftswochen für Seminaren und Gymnasien.
Ist Verständnisförderung für wirtschaftliche Fragen nur ein Anliegen der Wirtschaft?
Thomas Schmidheiny: Wirtschaftliche Zusammenhänge verstehen ist ein Anliegen, das weiter greifen muss. Alle Menschen sind bekanntlich in der einen oder anderen Form Teil des Wirtschaftslebens. Wenn wir eine Brücke schlagen zwischen damals und heute, dann stelle ich etwa fest, dass sich das Einkaufsverhalten markant verändert hat und die Transparenz über wirtschaftliche Vorgänge abgenommen hat. Einkaufsplattformen wie Amazon seien nur Stichworte dafür. Die wirtschaftlichen Konsequenzen solcher Entwicklungen wären sicher ein spannendes Symposiumsthema.
Welches waren die Gründe zur Übernahme des Stiftungspräsidiums?
Thomas Schmidheiny: Die Statuten sahen einen Amtszeitbeschränkung vor. 1984 musste also die Nachfolge geregelt werden. Ich war damals im Unternehmen für die operative Führung der Schweiz verantwortlich. Gleichzeitig hatte ich ein Mandat im Kantonsrat von St. Gallen. Dort wirkte auch Rolf Dubs. Er und der neu gewählte Erziehungsdirektor Ernst Rüesch überzeugten mich im Interesse der Kontinuität, das Präsidium zu übernehmen. Als Innovator und kritischer Geist hatte Anton E. Schrafl die Stiftung zur ersten grossen Blüte gebracht. Ich konnte also ein ausgereiftes Konzept mit solider Verankerung an vielen Schweizer Schulen übernehmen und mich neuen Herausforderungen stellen. Die Stiftung sollte breiter verankert werden und an Schlagkraft gewinnen. Deshalb wurde die Organisation verstärkt und das Programm technologisch und inhaltlich verfeinert.
Wie wichtig waren die Symposien?
Thomas Schmidheiny: Schlüssel des Erfolges der Wirtschaftswochen sind engagierte Kader, die sich für Wirtschaftswochen zur Verfügung stellen und den Diskurs mit jungen Menschen suchen. Für sie sollte das Symposium ein Weiterbildungsanlass, aber auch ein Dankeschön für den unentgeltlichen Einsatz sein. Gleichzeitig wollten wir den Kontakt zu den Schulen und dem Bildungswesen verstärken. Nicht vergessen will ich die Handelskammern, die mit ihrem grossen persönlichen und finanziellen Engagement den Erfolg der Wirtschaftswochen nach wie vor sicherstellen. Das Symposium wurde so zu einer attraktiven Plattform, wo auch kontrovers über aktuelle Themen aus Politik, Wirtschaft und Bildung diskutiert wird.
Welches waren die Hauptstossrichtungen der Programmentwicklung?
Thomas Schmidheiny: Nach wie vor ist das Management Game mit den Unternehmenssimulationen das Rückgrat jeder Wirtschaftswoche. Die Technologie, die im Hintergrund läuft, hat sich aber über die fünf Jahrzehnte komplett verändert. Fand die Datenverarbeitung anfänglich in einem Rechenzentrum statt, steht heute der Bildschirm der Schülerinnen und Schüler im Zentrum des Geschehens. Es braucht nur noch den Spielleiter, der die ganzen Prozesse selbständig und ohne Einfluss von aussen steuert. Somit konnten neue Lehrinhalte nicht nur modularartig, sondern auch effizient in das System integriert werden. Heute basieren alle Inhalte auf einer modernen Managementphilosophie. Umwelt und Social Responsibility sind dabei wichtige Eckpfeiler.
Welche Bedeutung hatte die Donation von Holcim für die Stiftung?
Thomas Schmidheiny: Mit dem 100-jährigen Bestehen von Holcim sollte in aller Bescheidenheit ein Signal gesetzt werden. Die Stiftung war in der Schweizer Bildungslandschaft zu einer Institution geworden. Und mit den fünf Millionen Franken wollte der Verwaltungsrat die Stiftung längerfristig sichern und die Entwicklung neuer Programme fördern.
Was machen die Wirtschaftswochen so Unikat?
Thomas Schmidheiny: In erster Linie sind es die vielen Kaderkräfte der Schweizer Wirtschaft, die als Fachlehrer und Spielleiter das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge bei der Jugend fördern. Der Einsatz wird nicht entschädigt. Der Kontakt mit jungen Menschen während eines Wochenkurses prägt und formt die Fachlehrer auch. Das stärkt sie auch in ihrem Berufsalltag. Es ist also eine Art geben und nehmen.
Ist die Wirtschaftsausbildung an den Schulen heute zufriedenstellend?
Thomas Schmidheiny: Wenn heute in der Bevölkerung mehr Verständnis für wichtige Anliegen der Wirtschaft vorhanden wäre, dann stünde die Schweiz wohl besser da. Ein kritischer Geist ist sicher gesund, und gerade unsere Stimmbürgerinnen und Stimmbürger müssen im Rahmen der direkten Demokratie vieles hinterfragen. Um sich aber in Sachgeschäften eine klare Meinung zu bilden, sollten auch elementare volks- und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge bekannt sein. Wer Umsatz mit Gewinn verwechselt, kann rasch falsche Schlüsse ziehen. Und Schlagzeilen auf Social Media bringen da auch nichts. Es braucht also weiterhin Tools, um die Jugend in Wirtschaftsbelangen zu unterrichten.
Braucht es mehr Wirtschaftsverständnis, um die globalen Herausforderungen zu meistern?
Thomas Schmidheiny: In den USA wird das Wirtschaftsverständnis seit jeher höher eingestuft als in Europa, wo die Staaten vieles zentral lenken. Die Schweiz steht aber bei einem solchen Vergleich nicht schlecht da. Grund dafür ist sicher die höhere Eigenverantwortung unserer Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der direkten Demokratie. So gesehen ist die Schweiz besser gefahren als ihr Umfeld.
Bringt ein Schulterschluss mit anderen Organisationen etwas?
Thomas Schmidheiny: Grösse allein ist selten besser. So gesehen besteht aus meiner Sicht kein Handlungsbedarf. Auf der Innovationsseite hingegen, sieht es vielleicht etwas anders aus. Denn neue Lehrprogramme und Apps oder die Präsenz in den Social Media binden gewiss enige Mittel. Da macht eine Kooperation mit ähnlich gerichteten Organisationen sicher Sinn. Gemeinsam neue Tools entwickeln und danach individuell vermarkten. Ein Partner an den Grundschulen und der andere in der Erwachsenenbildung um ein Beispiel zu nennen.
Welches ist die grösste Herausforderung für unsere Wirtschaft in den kommenden Jahren?
Thomas Schmidheiny: Umweltthemen werden die politische Agenda immer stärker prägen und damit den Gang der Wirtschaft mitbestimmen. Dazu braucht es ökologischen und ökonomischen Sachverstand. Wirtschaftsbildung.ch kann hier einen konstruktiven Beitrag leisten. Nicht schlagwortartig, sondern so, dass die Jugend die wesentlichen Zusammenhänge besser versteht. Die Stiftung will seit Anbeginn keine Ideologien vermitteln, sondern Zusammenhänge aufzeigen. Das ist und bleibt die grosse Stärke!
Interview geführt von: Roland Walker
19. August 2021